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Handelsblatt Inside Digital Health


The following article was published in: Handelsblatt Inside Digital Health / 11 April 2022

Text: Manuel Heckel

  • ·Das Münchener Start-up Goodly Innovations bringt Augmented Reality in die Pharmaindustrie und grenzt sich mit diesem Branchenfokus von der Konkurrenz ab.

  • ·Dank der Datenbrillen sollen Produktionsmitarbeiter Fehler vermeiden und schneller geschult werden.

  • Mit einem mittleren einstelligen Millionenbetrag von Investoren will das Start-up jetzt den Vertrieb ankurbeln.

Das Münchener Start-up Goodly Innovations rüstet Mitarbeiter in der pharmazeutischen Fertigung mit einem zusätzlichen Accessoire aus – einer Datenbrille. Die Beschäftigten erhalten über die Software des Start-ups konkrete Anweisungen und Hinweise direkt ins Sichtfeld projiziert. Welcher Wert muss in der Maschine eingestellt werden – und an welchem Bedienfeld genau? Wurden bestimmte Prüfschritte erledigt? Mit Fingerbewegungen können die Beschäftigten zudem die virtuelle Checkliste abarbeiten oder abgelesene Daten notieren. Das Ziel: Die Software soll helfen, dass Mitarbeiter dank digitaler Zusatzinformationen schneller vorankommen und weniger Fehler machen. „So können Unternehmen die manuellen Prozesse erheblich beschleunigen“, sagt Mitgründer Dirk Schrader.


Dabei profitieren die Gründer von zwei Besonderheiten der Pharmabranche. Erstens gibt es hohe Ansprüche an die Qualitätskontrolle und Dokumentation, auf die sich Goodly einstellt. In der Software der Münchener lassen sich beispielsweise digitale Unterschriften in die Anwendung integrieren. Auch die Schulungen an bestimmten Maschinen können virtuell begleitet werden. Zweitens haben viele Firmen nach Einschätzung der Gründer lange davor zurückgeschreckt, auf Checklisten aus Papier zu verzichten. „Die Digitalisierung in der Pharmaindustrie verlief teilweise doch etwas langsam“, sagt Robert Hoffmeister, der das Unternehmen als Mitgründer operativ führt. Die Corona-Pandemie sorgte für ein Umdenken.


Neugier auf Augmented Reality steigt

Die Gründer, miteinander verschwägert, vereinen unterschiedliche Talente. Der studierte Grafikdesigner Robert Hoffmeister beschäftigt sich seit vielen Jahren mit digitalen Effekten und ihren Einsatzmöglichkeiten – er arbeitete unter anderem auch für Disney.


Produktionsexperte Dirk Schrader wiederum bringt 25 Jahre Erfahrung in der Pharmaindustrie mit. Für Astra Zeneca kümmerte er sich beispielsweise um die Einführung sogenannter „Lean Production“-Methoden, die die Fertigung schneller machen sollen. 2016 starteten sie mit der gemeinsamen Arbeit. Und mussten zu Beginn viel Überzeugungsarbeit leisten: „Was vor einigen Jahren noch als Science-Fiction tituliert wurde, ist heute fit für den Einsatz in der Produktion“, sagt Hoffmeister. Denn das Thema Augmented Reality (AR), auf Deutsch „erweiterte Realität“, gewinnt nicht nur in der Pharmaindustrie an Bedeutung. Bei AR wird ein virtuelles Objekt in die reale Umgebung eingeblendet. Immer mehr produzierende Unternehmen entdecken AR als hilfreiches Assistenzsystem – bei dem die Hände in der Regel freibleiben. „Wir beobachten einen Anstieg im Unternehmenseinsatz“, sagt Philipp Rauschnabel, der sich als Marketing-Professor an der Universität der Bundeswehr in München seit Jahren mit der Technologie beschäftigt. Immer wieder würden Fachabteilungen anfangen, mit entsprechenden Anwendungen zu experimentieren. „Teilweise sogar im stillen Kämmerchen, aus Angst davor, dass die Datenschutz- oder IT-Abteilung hier Steine in den Weg legt“, sagt Rauschnabel.



Voller Fokus auf die Pharmabranche

Mit dem klaren Pharmafokus will sich Goodly Innovations von anderen AR-Anbietern abgrenzen. Denn erfahrene Industriedienstleister wie Edag haben das Thema ebenso aufgegriffen wie die Tech-Firma TeamViewer – die Göppinger bieten Augmented-Reality-Fernwartungslösungen für die Industrie an. Digitalagenturen oder Start-ups wollen die Nische ebenfalls besetzen. Das Start-up AR Experts aus der Nähe von Stuttgart wirbt etwa damit, dass Produktionsbetriebe möglichst simpel Abläufe in die erweiterte digitale Realität transferieren können. Die Strategie von Goodly Innovations, sich im ersten Schritt voll auf eine Branche zu fokussieren, könnte sich jedoch auszahlen: Je näher ein Einsatz an die tatsächliche Produktion rückt, desto genauer müssen Produkt und Software dabei in vielen Fällen zusammenpassen, bestätigt Wissenschaftler Rauschnabel: „Die Anwendung muss auf den Prozess als Ganzes angepasst sein und auch spezielle Maschinen genau erkennen können.“ Bei einigen der weltweit wichtigsten Pharmafirmen sei man bereits im Einsatz, berichten die Goodly-Innovations-Gründer – aber zu den allermeisten Verträgen gehört eine Verschwiegenheitsklausel. Genannt werden darf Schraders früherer Arbeitgeber Vifor Pharma, der 2018 die Lösung von Goodly Innovations einführte. Und dafür 2018 mit dem „Pharma 4.0-Award“ in Berlin ausgezeichnet wurde. Besonders häufig kommt die Software bislang bei der Verpackung zum Einsatz. „Wir haben uns die Bereiche mit dem größten Potenzial zuerst angesehen“, sagt Schrader. Zukünftig wollen die Gründer ihre Software jedoch auch bei hoch spezialisierten biopharmazeutischen Herstellungsprozessen positionieren. Da geht es weniger um eine Erhöhung der Geschwindigkeit, sondern um die Einhaltung von strengen regulatorischen Vorgaben – sonst können wochenlange Abläufe durch eine Unachtsamkeit zerstört werden.


Vertrieb über zusätzliche Kanäle geplant

Für die nächsten Schritte hat das Start-up jetzt noch einmal Kapital aufgenommen. Vor wenigen Tagen machte Goodly Innovations eine Finanzierungsrunde öffentlich, bei der sich neben den Altinvestoren Bayern Kapital und der BayBG Bayerische Beteiligungsgesellschaft auch ein Family Office sowie private Geldgeber beteiligt haben. Insgesamt habe man jetzt einen mittleren einstelligen Millionenbetrag von Investoren eingesammelt, berichten die Gründer. Das frisch eingeworbene Geld soll zum einen dafür verwendet werden, die Technik weiter zu verfeinern. Zum anderen will Goodly mit aktuell 23 Mitarbeitern den Vertrieb stärken. Geplant ist sowohl die direkte Zusammenarbeit mit Pharmafirmen als auch eine Kooperation mit Softwarespezialisten für den Maschinenbau oder Anlagenbauern selbst – umso gewissermaßen huckepack in neue Pharma-Fertigungsstraßen einzuziehen. Noch einen Wachstumsschritt weiter entfernt: Die Suche nach Kunden aus ganz anderen Bereichen – die man mit dem hohen Qualitätsstandard aus der Pharmawelt überzeugen will: „Wir wussten, dass wir mit der Pharmaindustrie das dickste Brett bohren“, sagt Gründer Schrader, „aber man kann unsere Lösung in so gut wie jeder anderen Industrie einsetzen.“


Text: Manuel Heckel

Published in: Handelsblatt Inside Digital Health / 11 April 2022







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